Schon an den ersten Tagen der IAA spürt man den Wandel – nicht nur in der Mobilität. Die Zukunft scheint ungewisser denn je.
Es war so wie immer – und doch ganz anders. Die IAA 2019 steht für den Beginn einer Aufweichung alter Strukturen und Denkweisen. Alles was uns seit Jahrzehnten als Selbstverständlich erscheint steht zur Debatte, wird hinterfragt, durchdiskutiert und unverdaut abgelegt. Endgültige Lösungen sind (noch) nicht in Sicht, man streitet über die besten Übergangsstrategien.
Die zentrale ist das Elektroauto. Wer kein solches – oder zumindest einen Plug-in-Hybriden – auf seinem Stand vorweisen kann, ist out. PS-Protze, also die Fahrzeuge, mit denen richtig Geld verdient und der Wandel finanziert wird, stehen in hinteren Ecken der zumeist kleineren Stände. Elektro ist Trumpf: Der Zeitgeist, die Politik und die Öffentlichkeit wollen es so.
Ohne wirklich grünen Strom geht nichts
Dabei ist das Thema noch lange nicht zu Ende gedacht. Der Strommix hierzulande ist noch weit davon entfernt, „grün“ zu sein. Die Probleme bei der Herstellung der Akkus bestehen weiterhin (Lithium, Kobalt etc), und die (Lade-)Infrastruktur kann mit den Ansprüchen an diese Technologie noch lange nicht mithalten. Nicht selten berichten mir Gesprächspartner, dass ein E-Auto für sie nicht in Frage komme, weil in der Tiefgarage kein Laden möglich und eine Installation nicht erlaubt sei.
Nein, die Elektromobilität ist nicht der Weisheit letzter Schluss – zumindest derzeit noch nicht. Immer mehr Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Dass nämlich ein mit dem aktuellen Strommix betriebenes E-Auto viel zu weit fahren muss, um den Verbrenner bei der Umweltverträglichkeit abzuhängen. Nur wenn man Ökostrom bezieht, kann man davon ausgehen, dass der Break-even einigermaßen schnell erreicht ist. Und zwar schon ab 20.000 bis 30.000 Kilometern. Doch Vorsicht: Nicht jeder Anbieter, der seinen Strom als grün ausgibt ist es auch.
E-Autofahren ist teurer

Ein ganz anderes, wichtiges Thema sind die Gesamtkosten eines Elektroautos im Vergleich zum Verbrenner. Auch hier werden immer wieder Vergleiche angestellt, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Jüngstes Beispiel ist eine Auswertung des Fullservice-Leasinggebers Lease Plan, der seinen 110.000 Fahrzeuge großen Fuhrpark einmal im Jahr einer Kostenanalyse unterzieht.
Beim aktuellen „Car Cost Index“ – erst dieser Tage veröffentlicht – handelt es sich um eine umfassende Untersuchung der Kosten für den Unterhalt eines Klein- bis Mittelklassefahrzeugs in 18 europäischen Ländern. Der Index umfasst sämtliche Kosten fürs Autofahren einschließlich Treibstoff, Wertverlust, Steuern, Versicherung und Instandhaltung. Alle Kosten wurden über die ersten drei Fahrzeugjahre gemittelt und gehen von 20.000 km Fahrleistung pro Jahr aus.
Zentrales Ergebnis: Das Fahren eines Elektroautos ist in Deutschland mit Kosten von 804 Euro pro Monat immer noch um rund 220 Euro teurer als das Fahren eines Benziners mit 587 oder Diesels mit 576 Euro.
Der Trick mit dem niedrigen Grundpreis
Daran dürfte sich auf absehbare Zeit auch wenig ändern, denn die Preise für E-Autos sind wesentlich höher als die der Verbrenner. VW verkündete vor der IAA zwar, mit dem ID.3 E-Mobilität für unter 30.000 Euro möglich zu machen. Doch mit guter Ausstattung und großem Akkupack dürfte er locker die 40.000-Euro-Grenze überschreiten.
So waren schon die ersten Tage auf der großen Autoshow am Main von offenen Fragen dominiert – bis hin zu der entscheidenden: Ob denn in zwei Jahren eine Fortsetzung folgen wird. Davor zittert nicht nur der VDA als Veranstalter, sondern auch die Messe Frankfurt. Und um noch ein wenig mehr Öl ins Feuer zu gießen, erklärte just am Eröffnungstag (mit Besuch der Kanzlerin) VDA-Präsident Bernhard Mattes seinen Rücktritt. Ob das Zufall war?
Zudem ist an den Besuchertagen mit Protesten von Umweltaktivisten zu rechnen, die die Diskussionen und Unsicherheiten weiter befeuern dürften. Anzunehmen ist, dass der Besucher mit seinem Kommen oder Ausbleiben über die Zukunft der IAA entscheiden wird. Fazit: Alles ist offen, nichts ist sicher, die Verwirrung groß. Nun denn: Auf in die Zukunft! HM
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